Die Nachbarin

 

Aschfahl, wachsig-gelb im Gesicht, völlig ungeschminkt, liegt sie rauchend im Fenster, eine dicke, schwarz-weiß gestrickte Pudelmütze tief über dem Kopf, die wie ein kleiner Helm vor kalten Wind schützen soll. Etwas ist anders. Ausnahmezustand.

 

Noch vor kurzer Zeit lag sie, im Wechsel mit ihm oder gemeinsam, im stetigen, regelmäßigen Rhythmus der Sucht, im Fenster, rauchend, die Nachbarschaft beobachtend, unberührt wie von einer Sternenbasis über dem Planeten. Ab und an Blicke, wie zufällig, schnell, ausweichend, falls Augen sich trafen. Kein Gruß wurde erwidert, abgeschottet, für sich.

 

Manchmal war es laut, Gebrüll, Schreie, anklagende Monologe, vermischt mit Weinen, Verzweiflung, Wut, Gift und Hass. Dazwischen das PLopp des Weinkorkens.

 

Anfangs sporadisch, seit mehr als einem Jahr beide nun immerzu da - vielleicht ohne Arbeit oder krank, wechselten sie den Platz am Küchenfenster, ihren Beobachtungsposten, die Blicke gelangweilt in die Gärten des Viertels. Nachts nur erkennbar am kurzen Aufglühen der Zigarette in der Dunkelheit. 

 

Jetzt ist es anders. Über die Feiertage sind beide verschwunden, nun ist sie wieder da, allein, in schwarz, steht in der Küche, gestikuliert wild, spricht eindringlich mit der Wand, sitzt am Küchentisch, schweigt, weint und raucht. Bei geschlossenem Fenster.